Mit Mitte 40 oder 50 kommt man auf allerlei Ideen, was man unbedingt noch tun muss, weil man es zuvor verpasst hat: reisen, daten oder eine Affäre haben, und wenn es eine ausgewachsene Midlife Crisis ist, vielleicht sogar einen Porsche kaufen. Aber das Allerbeste, was Du machen kannst, ist, noch einmal etwas Neues zu lernen – und zwar mit professioneller Unterstützung. Dich ganz bewusst wieder in die Rolle des Schülers oder der Schülerin zu begeben. Das ist leichter gesagt als getan, wenn man im Büro ein Team leitet oder zu Hause Kinder erzieht. Aber es lohnt sich sehr.
Ein Vorteil des Älterwerdens ist, dass man vermeintlich alles weiß. Jedenfalls in der Blase Deiner kleinen Welt gibt es kaum noch etwas, was den Alltag unnötig verkompliziert. Die Steuererklärung machen, eine Sitzung leiten oder bei Bedarf auch mal einen Profi engagieren – nichts kann Dich mehr erschrecken. Das wird besonders deutlich, wenn die erwachsenen Kinder anrufen und fragen, wie man eine herausgesprungene Sicherung wieder aktiviert oder einen Rotweinfleck aus dem Hemd bekommt. Große Probleme in jungen Jahren, mit 50 nicht mehr der Rede wert. Doch wer das so sieht, verpasst eine wichtige Erfahrung.
Denn es tut durchaus mal ganz gut zu sagen: „Ich weiß nicht, wie das geht.“ Oder: „Ich kann das nicht so gut.“ In der Familienphase gibt es diese Option nicht. Da ist weder die Zeit, noch das Geld vorhanden, um bei jedem Problem eine*n Handwerker*in oder eine*n Mediator*in zu rufen. Zwei Jahrzehnte lang musst Du einfach alles können oder zumindest selbst eine Lösung finden, weil Du nunmal Familienoberhaupt bist. Niemand springt Dir zur Seite, wenn am anderen Ende der Welt ein Flug ausfällt und Du mit Kindern, Koffern und Kegeln irgendwie nach Hause musst. Oder wenn morgens auf dem eng getakteten Weg zur Schule und zur Arbeit (wann denn sonst?) mal wieder die Fahrradkette herausspringt. Es ist eine ungemeine Erleichterung, nun im fortgeschrittenen Alter endlich einmal sagen zu können: „Das ist nicht gerade mein Talent, wer könnte mir denn da helfen?“ Oder: „Wie könnte ich darin besser werden?“
Mehr als ein reiner Zeitvertreib
Und wenn Du Dich eine Weile darin geübt hast, bei akuten Problemen Unterstützung in Anspruch zu nehmen, bist Du irgendwann bereit, Dich in eine echte Lernsituation zu begeben. Damit meine ich nicht den Pilateskurs in der Volkshochschule oder den Kauf einer Staffelei und einiger Tuben Acrylfarben zum reinen Zeitvertreib oder zum Wohle der Gesundheit. Natürlich, auch im Sportkurs lernst Du etwas: neue Übungen, eine bessere Körperhaltung. Auch als Autodidakt mit Pinsel und YouTube-Tutorials wirst Du Fortschritte machen. Doch das ist nichts im Vergleich dazu, den Entschluss zu fassen, etwas Neues wirklich können zu wollen.
Ein Instrument, einen Tanz, eine Sprache. Oder Segeln wie die auf Instagram unter @zaoceanracing bekannte Wirtschaftsprüferin Elizabeth Tucker, die ihre erfolgreiche Karriere in der Finanzbranche an den Nagel gehängt hat, um bei der Global Solo Challenge 2027 mitzumachen, obwohl sie bis dato noch nie ein Boot betreten hatte. Ein Curriculum und das Ziel, ein möglichst hohes Niveau zu erreichen, sind die Zutaten, die Du brauchst, um die volle Inspiration zu spüren, die vom Lernen ausgehen kann. Und die Unterstützung eines Lehrers oder einer Lehrerin.
Fünf gute Gründe, etwas zu lernen
Nimm Dir das unbedingt vor! Denn Lernen hält jung. Wer das Gehirn trainiert, den Körper bewegt, die Feinmotorik schult, hat länger etwas davon. Zweitens verstärkt Lernen das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Du kannst vielleicht nichts daran ändern, dass auf der Arbeit ein halb so alter Nachwuchskollege zum Vorgesetzten befördert wird. Oder dass sich Deine grauen Strähnen nicht mehr durch eine Coloration verstecken lassen, weil Dir davon plötzlich die Haare ausfallen. Aber niemand kann Dich davon abhalten, etwas zu lernen. Niemand kann Dich daran hindern, Fortschritte zu machen. Niemand kann Dir den Stolz darauf nehmen, das nächste Level erreicht zu haben.
Drittens strukturiert Lernen den Tag. Wenn die Kinder aus dem Haus sind oder das Berufsleben entspannter wird, weil Du niemandem mehr etwas beweisen musst, wenn manchmal vielleicht sogar ein wenig Langeweile einkehrt, dann ist es schön, etwas zu haben, womit Du Dich jeden Tag eine Stunde lang beschäftigen kannst. Vielleicht ja sogar zwei oder drei. Lernen macht außerdem demütig. Das ist das vierte Argument. An der Seite eines Menschen, Lehrers, der etwas besser kann als Du (obwohl er vielleicht sogar jünger ist), wird klar, dass Du eben doch nicht alles weißt. Nicht im Entferntesten. Und das kann Dir nicht schaden. Denn Schlaumeier sind unsympathisch. Es tut gut, die Rolle des Alleswissers, in die Du als Berufserfahrene*r oder Elternteil hineingezwungen wurdest, abzustreifen. Unwissenheit macht jünger. Wer will schon die weise, alte Morla sein?
Und fünftens – und das ist das wichtigste Argument – macht Lernen aus all den genannten Gründen glücklich. Es befreit, es gibt dem Leben Sinn. Es ist so viel schöner, im fortgeschrittenen Alter freiwillig etwas zu lernen als in jungen Jahren in der Schule unter Zwang. Aber wenn Du erst das richtige Mindset erreicht hast, wirst Du Dir wünschen, [WEITERLESEN]

Du möchtest weiterlesen?
Die ganze Kolumne „Wer will schon die weise, alte Morla sein?“ gibt es hier:
MaMagazine – Ausgabe No. 02/2025
- Zeitschrift als Printmagazin bei epubli kaufen
- Zeitschrift als E-Book bei epubli kaufen
- Bald auch bei Amazon erhältlich
Inhalt
- Künstlerportrait: Jedes Selfie könnte das letzte sein – Seite 2
- Reisebericht aus Ghana: Wo sich die Seelen der Verstorbenen treffen – Seite 7
- Kurzgeschichte: Uwe und das Mädchen – Seite 17
- Rezension: Liebe und Anarchie – Seite 21
- Gedicht: Szene in Rot – Seite 24
- Kolumne: Wer will schon die weise, alte Morla sein? – Seite 25
- Kurzfilmprojekt: „Nicht so viel darüber nachdenken, was andere von mir halten“ – Seite 28
- Gedicht: Stilles Kind – Seite 31
- Reisebericht aus Australien: Wo das harte Leben Kunst inspiriert – Seite 32
- Kurzgeschichte: Matthias Ginnberger zittert nicht – Seite 37
- Künstlerportrait: Drei junge Musikerinnen zum Niederknien – Seite 40
- Travel report: Where a hard life inspires art – Seite 45
Beitragsbild: Pixabay / Éva Zara
