Matteo und der Zauberer
Kurzgeschichte von Maja Roedenbeck
„Vorne und hinten fängst du an zu stinken!“, Matteo hat sonst kein Taktgefühl und auch kein Ohr für Melodien, aber diesen elfsilbigen Sprechgesang kann er sich merken, den kann er vortragen, lauthals und ohne Scheu, und tut’s heute zum geschätzten dreihundertfünfundachtzigsten Mal. Tut’s, während er den L-förmigen Flur vor den Spielzimmern der Kita Albert-Einstein-Straße auf- und abrennt, sechs Kinder immer dicht hinter ihm. Sie sind fürs Echo zuständig, kreischen „Vorne und hinten fängst du an zu stinken!“ in sechs verschiedenen Variationen. Und als sie diesmal mit ausgestreckten Armen gegen die rot lackierte, mit Karnevalsmasken beklebte Eingangstür der Abteilung prallen und eben im Begriff sind zu wenden, um den Flur in die Gegenrichtung hinunter zu toben, sehen sie durch das Glasfenster in der oberen Türhälfte Matteos Mutter kommen. Mit einer roten Nase. Und roten Augen. Und geschwollenen Lippen. Und nassen Wangen. Sie schnaufen und sie prusten noch, aber sie stehen still und schauen gespannt auf die zierliche Frau, ihre wippenden, straßenköterblonden Locken und ihr verheultes Gesicht.
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